Prozess gegen Björn Höcke: Er habe eine „Säuberung der Rechtspflege“ angedroht, sagt der Staatsanwalt - WELT (2024)

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In einem Schauprozess zur Verfolgung politischer Gegner steht eine Verurteilung des Angeklagten bereits vorher fest. Er wird für Zwecke der Propaganda durchgeführt und dient zur Ausschaltung missliebiger Dissidenten. Die Angeklagten solcher Prozesse haben keine Möglichkeit zur Verteidigung und werden oft unter Folter zu Geständnissen gezwungen. Ein Schauprozess dient nicht der Herstellung von Gerechtigkeit, sondern der Sicherung von Herrschaft.

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Die historische Forschung nennt unter anderem Prozesse des nationalsozialistischen Volksgerichtshofs sowie Prozesse gegen die politischen Gegner Stalins in der Sowjetunion und deren Satellitenstaaten als Beispiele.

Mit dem Gerichtsverfahren gegen den AfD-Politiker Björn Höcke, das am Mittwoch vor dem Landgericht Halle fortgesetzt wurde, haben diese Beispiele nichts zu tun. Höcke hat mehrere Verteidiger, muss sich nicht selbst belasten, kann Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen, Zeugen befragen, Beweisanträge stellen, sich zu jedem Zeitpunkt erklären und das Urteil durch ein höheres Gericht überprüfen lassen.

Bericht vom Prozessauftakt

Prozess gegen Björn Höcke: Er habe eine „Säuberung der Rechtspflege“ angedroht, sagt der Staatsanwalt - WELT (1)

AfD-Landeschef vor Gericht

„Ich möchte Sie bitten, Ihre Worte besser zu wägen“, sagt Höcke zum Staatsanwalt

Höcke schwört seine Anhänger dennoch darauf ein, dass die Verhandlung in Halle nicht rechtsstaatlich sei. „Wenn die AfD an der Regierung ist, werden diese politischen Schauprozesse aufgearbeitet werden, dann wird es wieder eine neutrale Justiz geben“, kündigte er in einem am Montagabend auf seinem Telegram-Kanal veröffentlichten Video an. In dem „ach so freien Deutschland“ gebe es „Maulkorbparagrafen, die uns als Oppositionelle mehr oder weniger den Einsatz für dieses Land unmöglich machen“, behauptet er dann.

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Am Mittwochmorgen kommt Höcke dann mit zwei Verteidigern in den Saal, die von ihren Rechten den ganzen Tag über umfangreich Gebrauch machen werden. Im selben Saal war Höcke bereits im Mai zu einer Geldstrafe verurteilt worden, da er am Schluss einer Wahlkampfrede die Losung „Alles für Deutschland“ verwendet hatte, die auch die NSDAP-Kampforganisation SA zur Selbstdarstellung nutzte.

Erster Prozess

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Urteil gegen Björn Höcke

„Der augenscheinlich fundierte NS-Wortschatz des Angeklagten deutet auf Täterwissen hin“

Bereits in den Jahren zuvor hatte der Thüringer AfD-Chef in zahlreichen Reden nationalsozialistisches Vokabular verwendet. „Sie sind ein redegewandter und intelligenter Mann, der weiß, was er sagt“, hatte der Vorsitzende Richter Jan Stengel bei der Urteilsbegründung im Mai ausgeführt.

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In diesem Prozess wird Höcke vorgeworfen, das Publikum einer AfD-Veranstaltung in Gera im Dezember 2023 durch eine auffordernde Handbewegung „veranlasst“ zu haben, „den Wahlspruch der nationalsozialistischen SA“ zu vollenden, wie es in der am Montag verlesenen Anklage heißt.

Das auf Telegram veröffentlichte Video hält ihm am Montag der Staatsanwalt Benedikt Bernzen vor. „Statt Einsicht und Reue zu zeigen, kündigt der Angeklagte einen persönlichen Rachefeldzug gegen die an den Strafverfahren beteiligten Justizangehörigen an“, sagt er während der Begründung eines Beweisantrags. Höcke habe eine „Säuberung der Rechtspflege“ angedroht sowie verdeutlicht, dass er das Prinzip der Gewaltenteilung ablehne und damit ein Demokratieverständnis zum Ausdruck gebracht, „das sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schlechterdings nicht vereinbaren lässt“.

„Diese Interpretation war infam“, sagt Höcke

Höckes Verteidiger Ralf Hornemann reagiert deutlich. „Dieser Vorwurf ist für mich eine Schweinerei, unjuristisch gesprochen“, sagt er. Und auch Höcke selbst reagiert: „Diese Interpretation aus Ihrem Munde war infam“, sagt er. In seinem Video sei es lediglich darum gegangen, ähnlich wie der Deutsche Richterbund die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaften zu kritisieren.

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Beweisanträge stellen am Montag auch Höckes Anwälte Hornemann und Florian Gempe. Mit einem historischen Gutachten wollen sie beweisen, dass die Losung „Alles für Deutschland“ von verschiedenen politischen Strömungen genutzt worden sei, auch von Sozialdemokraten, Nationalliberalen „sowie in Mitteldeutschland von der SED“ (Hornemann).

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Zudem beantragen sie, den NS-Propagandafilm „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl in Augenschein zu nehmen. Dadurch solle bewiesen werden, dass die Parole zwar eine sichtbare Aufschrift beim NSDAP-Reichsparteitag 1934 gewesen, aber „keineswegs ein Symbol der SA“ gewesen sei. Die Parole „Alles für Deutschland“ war auf der Klinge des SA-Dienstdolchs eingraviert, der Teil der SA-Uniform war. In der NSDAP-Zeitschrift „Der SA-Führer“ wurde sie als „hohes und heiliges Gesetz der SA“ bezeichnet. In der Neonazi-Szene ist sie bis heute präsent.

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„Ob die Parole auch vor Gründung der SA oder gar von NS-Gegnern verwendet wurde, ist aus Rechtsgründen für den Sachverhalt bedeutungslos“, erwidert die Staatsanwältin Viola Knatz.

Die Verteidiger beantragen außerdem die Verlesung mehrerer Bücher, darunter das Werk „Vokabular des Nationalsozialismus“ von Cornelia Schmitz-Berning. Darin werde die Formel nicht erwähnt und deshalb sei bewiesen, dass diese im NS-Vokabular keine Rolle gespielt habe. Dass in dem Buch auch etwa die Losungen „Arbeit macht frei“ sowie „Jedem das Seine“ nicht besprochen werden und es sich folglich um eine Auswahl handelt, erwähnen die Anwälte nicht.

Gempe beantragt außerdem die Verlesung eines Gutachtens des Historikers Franz Seidler vom April dieses Jahres, mit dem bewiesen werden solle, dass die Losung „keine besondere Bedeutung“ für die SA gehabt hätte. „Franz Seidler tritt mit geschichtsrevisionistischen Thesen auf und publiziert in rechtsextremen Verlagen“, erwidert die Anklägerin Knatz. Es sei „befremdlich“, dass die Verteidigung „einen offensichtlichen Geschichtsrevisionisten als Experten präsentiert“.

Tatsächlich veröffentliche Seidler zahlreiche Werke in Verlagen des Rechtsextremisten Dietmar Munier sowie Artikel in mehreren rechtsextremen Zeitschriften. Namhafte Fachkollegen warfen Seidler vor, „bemerkenswert deutlich den Mustern der NS-Propaganda“ zu folgen sowie Verbrechen der Wehrmacht „in einem möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen“.

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Einen historischen Sachverständigen, den das Gericht hören wollte, hatte die Kammer vor dem Verhandlungstag wieder abgeladen. Die Staatsanwaltschaft informierte den Richter, dass sich der vom Gericht geladene Historiker Yves Müller in der Vergangenheit öffentlich über die AfD und Höcke geäußert hatte. „Da habe ich ihm mitgeteilt, dass die Kammer davon Abstand nimmt, ihn zu hören“, sagt Richter Stengel am Mittwoch. „Weil, das geht einfach nicht.“

Das Gericht hat über die meisten Beweisanträge noch nicht entschieden. Die Verhandlung wird am kommenden Montag fortgesetzt.

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