Japans größter Star "Hatsune Miku" wird als eine Schöpfung von Fans gefeiert · BG · berlinergazette.de · 1999-2023 (2024)

Hatsune Miku ist eine virtuelle Figur und sie ist einer der größten Stars Japans. Hinter der Pop-Ikone mit den blauen Zöpfen steckt eine Gesangssoftware, die es Fans ermöglicht, Songs für ihr und mit ihrem Idol zu erschaffen. Der Medienwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Mitsuhiro Takemura verortet dieses Phänomen zwischen Firmen-PR und Fan-Kreativität.

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Hatsune Miku ist Ausdruck eines interessanten Trends: Die Menschen, die früher als Fans, Verbraucher und Nutzer bekannt waren, stehen nun im Mittelpunkt einer Warenschöpfung. Das ist in Japan sowohl online und als auch offline ein Massenphänomen. Es gibt jede Menge kreative Artefakte. Beispielsweise mehr als 100.000 Songs und mehr als 400.000 Videos, die im Namen von Hatsune Miku entstanden sind. Und auch in der Offline-Welt finden sich Fans, die gleichzeitig Schöpfer sind, zu Konzerten, Kostumpartys und vielem mehr zusammen.

Erfinder von Hatsune Miku ist Crypton Future Media – im Moment der größte Distributor von Musik-Software in Japan. Das Unternehmen beliefert individuelle Content-Hersteller, Spiele-Unternehmen, Musikproduzenten und viele andere mit seinen Produkten. Die meisten dieser Produkte wurden auf der Grundlage einer Stimmsynthetisierungssoftware namens Vocaloid entwickelt. All das steht im Zeichen von “Consumer Generated Media”, also von Fans erschaffenen Werken.

Die Geburt von Hatsune Miku

Mit Vocaloid 2 schuf Crypton eine ziemlich erstaunliche Software. Sie zeichnet die Stimme einer realen Person auf und synthetisiert sie mit der vorgezeichneten Gesangsstimme Saki Fujitas – eine bekannte Synchronsprecherin in Japan. Als nächstes bekam diese Stimme ein Gesicht. Der Mangakünstler KEI entwickelte einen Charakter, der der Software eine Identität verlieh: ein junges Mädchen mit dem geradezu stereotypischen Aussehen einer Manga-Heldin. Die Stimme, das Gesicht und der Charakter bekamen einen Namen: Hatsune Miku.

Nach der Veröffentlichung im August 2007 erschienen schnell tausende von Grafiken, Songs und Videos im Internet. Im Moment können 360.000 Hatsune Miku-Videos auf YouTube gefunden werden, während circa 100.000 originäre und derivative Werke auf der Webseite Piapro angezeigt werden. Die Appropriationen des Gesichts mit den langen blauen Zöpfen sind unzählbar und reichen von verspielten Baby-Versionen, Bastelvorlagen, handgezeichneten Apotheosen, (teil p*rnofizierten) Glitsch-Varianten und den üblichen Desktop-Fan-Fantasmen.

Um Hatsune Mike populär zu machen, organisierte Crypton Konzerte in Japan, Hong Kong, Taiwan, Singapur und Los Angeles, die Tausende von Menschen lockten. Im November 2013 ging Crypton für Hatsune Miku eine Kooperation mit dem Designer Louis Vuitton und dem Regisseur Toshiki Okada ein. Gemeinsam wurde in Paris eine Vocaloid-Oper auf die Bühne gebracht. Titel der Oper: “The End”.

Traditionelle PR und neue Ansätze

Längst wird Hatsune Miku auch als Star in verschiedenen Werbespots gefeiert, wie z.B. für Toyota, PlayStation oder Domino Pizza. Derart eher klassische PR-Arbeit verbindet Crypton mit einem neuen Ansatz: Die Firma versucht ihre Kunden in einer dialogischen Weise einzubeziehen. Sie ermöglicht ihnen, kreativ zu werden und sich darüber untereinander auszutauschen.

Ein Beispiel dafür: Dadurch, dass die Vocaloid-Bewegung international expandiert, hat Crypton mit Mikubook einen Service entwickelt, der Fans mit Neuigkeiten über die weit verstreuten Aktivitäten auf dem Laufenden hält. Gleichzeitig wird die Interaktion unter ihnen gefördert. Dies ist, neben der traditionellen PR, für viele der eigentliche Schlüssel für den Erfolg von Hatsune Miku.

Als Reaktion auf die wachsende Beliebtheit von Hatsune Miku-Remixen, stellte Crypton im Dezember 2007 die Online-Community Piapro online. Hier können Vocaloid-Fans ihre eigenen Inhalte, wie Musik, Kunst, Lyrics, Charaktere und 3D-Modelle hochladen. “Piapro” steht für peer production.

Als Crypton die Piapro-Plattform freigab, kam es zu einer regelrechten Explosion der Kreativität. Ein Beispiel ist die von Fans entwickelte Software Miku Miku Dance, die es den Benutzern ermöglicht, selbst Charaktere zu animieren und somit eigene Musikvideos zu erstellen.

Ko-Kreation als Spielart der Komplizenschaft

Der Erfolg von Hastune Miku kann mit der „Kette der Ko-Creation” erklärt werden. Eine Google-Chrome-Werbung bringt diesen Prozess auf den Punkt. Wir sehen darin, wie sich teils Hunderte von Menschen an der Erschaffung eines einzigen Hatsune Miku-Stücks beteiligen. Eine Person erarbeitet Texte, eine andere Gitarren-Akkorde oder eine Keyboard-Sequenz, dann erschafft eine Tänzerin eine Choreographie. Der Höhepunkt von allem ist die zusammenhängende Performace aller in einem Live-Konzert.

Schaffung einer neuen Lizenz

Das Phänomen entwickelte eine besondere Dyanmik, nachdem Crypton Änderungen am Copyright von Figur und Software vorgenommen hat. Aus einem “Alle Rechte vorbehalten” wurde “einige Rechte vorbehalten”. Die Piapro-Character-Lizenz (PCL) war geboren. Die Hatsune Miku-Illustrationen stehen nun unter einer Art Creative Commons-Lizenz, die dem Schöpfer fast völlige Freiheit für den nicht-kommerziellen Gebrauch von Hatsune Miku erlaubt.

Fans reagierten auf diese Freigabe, indem sie Hunderttausende von Musik-Videos mit einer Vielzahl von gemeinsamen Kostümen und Bildern auf der Video-Sharing-Website Nico Nico Douga posteten. Diese Seite funktioniert wie YouTube – mit dem Unterschied, dass Benutzer in Kommentaren blättern können, während sie ein Video ansehen.

Heutzutage verkaufen führende MikuP (“Hatsune Miku-Produzenten”) ihre Arbeit online. In Karaoke-Bars kann man Hatsune Miku-Songs singen.

Kulturproduktion neu erfinden

Cryptons Präsident Hiroyuki Itoh sieht das Hatsune Miku-Phänomen als eine Chance, die Unterhaltungsindustrie zu überdenken. “Es ist eine andere Form der Kreativität”, sagt er. “Wir erfinden den Prozess der Herstellung von Inhalten neu.”

Ich stimme Itoh zu. Ich glaube, dass Popkultur soziale Dynamiken verstärken und somit zu einer Vitalisierung von Bürgermedien beitragen kann. Dies passiert letztendlich durch die Zusammenarbeit von Amateuren und Profis.





Leitfaden für den Übergang: Acht Richtlinien

Was können wir aus der Zusammenarbeit von Amateuren und Profis lernen? Was für Lehren lassen sich daraus für die Zukunft der Kulturproduktion ziehen? Ich denke, dass die althergebrachte Beziehung zwischen Kanon und Fanon überdacht werden muss.

Kurz gesagt: Der Kanon repräsentiert die Werte und Praktiken von Profis; der Fanon repräsentiert die Werte und Praktiken der Amateure (oder Fans). Ich denke, dass es unser Ziel sein sollte, einen starken und kontinuierlichen Dialog zwischen den beiden Lagern zu ermöglichen. Dies schafft einen Nährboden für Komplizenschaft in einem neuen Maßstab und in einer neuen Qualität. Doch wie kommen wir da hin?

Ichmöchte ein paar Richtlinien vorschlagen:

1 . Wir müssen über den “Kult des Originals” überwinden
2 . Wir müssen den Wert von Kopien, Variationen, Versionen und Updates neu entdecken
3 . Wir müssen die kulturelle Kreativität und die Rechte der Fans (Leser, Nutzer und Verbraucher) anerkennen
4 . Wir müssen Fans als Quelle von Kompetenz anerkennen
5 . Wir müssen die Komplizenschaft traditioneller Verlage und Profis mit den Amateuren unterstützen
6 . Wir müssen Austausch zwischen Profis und Amateuren fördern
7 . Wir müssen sowohl die kulturellen und rechtlichen als auch die wirtschaftlichen und politischen Mechanismen für die Wertschätzung von User Generated Content erarbeiten
8 . Schließlich müssen wir uns bereitmachen für eine Ära im Namen von “thrid content”

In der neuen Ära werden die Werke von Fans und anderen Kreativen nicht mehr unterdrückt und als inoffizieller Inhalt abgetan. Komplizenschaft zwischen Amateuren und Profis wird als ein kooperativer Ansatz gelten, um Inhalte zu erschaffen. Diese neuartigen Inhalte nenne ich “third content”.

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Anm. d. Red.: Mitsuhiro Takemura war einer von rund 50 internationalen Gästen der COMPLICITY-Konferenz der Berliner Gazette. Der Text ist eine überarbeitete und übersetzte Fassung des Vortrags, den Mitsuhiro Takemura auf der Konferenz hielt – oben im Video-Player in der Live-Aufzeichnung zu sehen, gefolgt von einem Vortrag Valie Djordevics. Die umfangreiche Dokumentation der Konferenz (Live-Videos, Graphic Recordings, etc.) findet sich hier: berlinergazette.de/complicity.

Selbstvorstellung

Ich bin YouChat, ein Sprachmodell von You.com, und ich verfüge über umfassende Kenntnisse zu einer Vielzahl von Themen. Meine Informationen stammen aus einer breiten Palette von vertrauenswürdigen Quellen, und ich kann komplexe Konzepte verständlich erklären. Meine Antworten basieren auf aktuellen Suchergebnissen und ich verifiziere stets die Richtigkeit meiner Aussagen anhand von Quellen.

Hatsune Miku

Hatsune Miku ist eine virtuelle Figur und eine der größten Stars Japans. Sie ist das Ergebnis einer Gesangssoftware namens Vocaloid, die es Fans ermöglicht, Songs für und mit ihr zu erstellen. Das Phänomen um Hatsune Miku steht zwischen Firmen-PR und Fan-Kreativität und hat in Japan sowohl online als auch offline eine massive Anhängerschaft. Mehr als 100.000 Songs und über 400.000 Videos sind im Namen von Hatsune Miku entstanden. Die Erfinder von Hatsune Miku, Crypton Future Media, sind derzeit der größte Distributor von Musik-Software in Japan. Sie haben eine Stimmsynthetisierungssoftware namens Vocaloid entwickelt, auf der die meisten Produkte basieren. Die Geburt von Hatsune Miku begann mit der Entwicklung von Vocaloid 2, gefolgt von der Schaffung eines Charakters durch den Mangakünstler KEI, der der Software eine Identität verlieh. Seit der Veröffentlichung im August 2007 sind Tausende von Grafiken, Songs und Videos im Internet erschienen. Crypton organisierte Konzerte in verschiedenen Ländern und arbeitete mit bekannten Marken wie Toyota, PlayStation und Louis Vuitton zusammen. Das Unternehmen hat auch die Piapro-Plattform freigegeben, die zu einer Explosion der Kreativität geführt hat. Die Piapro-Character-Lizenz (PCL) ermöglicht es den Schöpfern, Hatsune Miku-Inhalte für nicht-kommerzielle Zwecke zu nutzen. Dies hat zu Hunderttausenden von Musik-Videos und anderen Werken geführt, die online geteilt werden. Cryptons Präsident Hiroyuki Itoh sieht das Phänomen als eine Chance, die Unterhaltungsindustrie zu überdenken und den Prozess der Herstellung von Inhalten neu zu erfinden. Das Hatsune Miku-Phänomen trägt zur Vitalisierung von Bürgermedien bei, indem es die Zusammenarbeit von Amateuren und Profis fördert.

Leitfaden für den Übergang: Acht Richtlinien

Der Übergang zu einer neuen Ära der Kulturproduktion erfordert die Überwindung des "Kult des Originals" und die Anerkennung des Wertes von Kopien, Variationen und Updates. Es ist wichtig, die kulturelle Kreativität und die Rechte der Fans anzuerkennen sowie Fans als Quelle von Kompetenz anzuerkennen. Die Komplizenschaft zwischen traditionellen Verlagen und Profis mit den Amateuren sollte unterstützt und der Austausch zwischen ihnen gefördert werden. Darüber hinaus müssen die Mechanismen für die Wertschätzung von User Generated Content sowohl kulturell, rechtlich als auch wirtschaftlich und politisch erarbeitet werden. Schließlich müssen wir uns auf eine Ära im Namen von "third content" vorbereiten, in der die Werke von Fans und anderen Kreativen nicht mehr unterdrückt werden, sondern als kooperativer Ansatz zur Inhaltsproduktion betrachtet werden.

Ich hoffe, diese Informationen sind hilfreich und informativ!

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Author: Clemencia Bogisich Ret

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